Anfang März machte mich ein Student auf einen Wettbewerb, der im Web veranstaltet wurde, aufmerksam. Er gäbe dort 5000 Euro zu verdienen und er habe sich schon angemeldet: auf der Website von Jovoto. Ein gewisser Frank-Walter Steinmeier suchte dort die Unterstützung von hunderten (und mehr) Kreativen. Mit ihrer Hilfe sollte ein Logo für den Kanzlerkandidaten der SPD geschaffen werden.
Nun, ich habe in meinem Leben schon einiges gemacht, warum sollte ich mich jetzt nicht auch als Kanzler-Macher engagieren und mit meinem Logo-Entwurf – neben Anton Stankowski, Paul Rand und Neville Brody – in die Design-Geschichte eingehen? Ich registrierte mich kurzerhand und arbeitete ernsthaft an einem Entwurf.
Die lieben Kollegen in dieser Community waren nicht weniger fleißig. Im Gegenteil. Neben einigen ernstzunehmenden Layouts sah ich mich aber auch mit einer Fülle von »Überraschungen« konfrontiert. Da gab es unter anderem wirklich sehr passable Entwürfe zu sehen: für Veranstalter von Ballonfahrten, für Baumärkte, für coffeinhaltige Limonade, für Optiker, für Floristik-Fachgeschäfte und Sportveranstaltungen u.v.m.
Ich sah Farbverläufe in allen Variationen, Raketen und Krawatten, Eichenlaub und rote Karten, Schachfiguren und Spielkarten, Zielscheiben und Türen, Kreuzworträtsel und Origami-Figuren, Sonnenaufgänge und Klingelknöpfe, viele Sprechblasen und noch mehr Pfeile. Nicht vergessen wollen wir den obamaisierten KFC-Mann und andere gut gemeinte Illustrationen.
Nun muss man wissen, dass Irritationen bei mir eine stark motivierende Wirkung haben. Diese galt es im »Fall Steinmeier« nunmehr in die richtigen Bahnen zu lenken. Also bastelte auch ich jetzt an einem – nunmehr zweiten – Entwurf, der sich für die von mir zu erleidenden grafischen und typografischen Grausamkeiten auf die brutalste Art an den Tätern rächen sollte. Vroni nennt diese Spezies übrigens im Designtagebuch liebevoll »wilde selbsternannte krautgesurste Pseudokreative«.
Mein Logo-Entwurf mit dem Namen »Steinmeier für ALLE« sieht so aus:
Einer guten Tradition folgend, stellte ich meinen Entwurf der Community mit wenigen Worten vor. Ich schrieb:
Alle Zielgruppen ansprechen!
Nun, die Ideen in diesem Contest werden immer unkonventioneller, mutiger und innovativer. Ja, man traut sich hier was. Da will auch ich nicht abseitsstehen, sondern mit anpacken. Für Deutschland.
»Nur wer die Regeln kennt, darf sie brechen!« Ich erinnerte mich an diesen Satz aus der Typo-Ecke, nahm all meinen Mut zusammen, um nunmehr das ultimative Logo zu kreieren. Es mag zunächst ein wenig irritieren. Aber wer meine Argumente studiert, wird mir zustimmen müssen: nur mit diesem Logo kann Herr Steinmeier Kanzler werden.
Steinmeier ist einer von uns. Aber wer sind wir? Wir sind so vielschichtig und vielseitig, dass sich das auch in dem Logo spiegeln sollte.
Deshalb habe ich das Wort Steinmeier aus drei verschiedenen Schriften gesetzt. Die ersten drei Buchstaben sind aus der Comic Sans gesetzt. Hiermit sprechen wir den Erstwähler an. Er kennt diese Schrift schon sehr gut. Für alle seine Hausarbeiten hat er sie eingesetzt.
Die folgenden drei Buchstaben sind aus der Thesis TheSans gesetzt, weil es das Briefing so verlangt. Außerdem wirkt diese Schrift recht zeitlos. Sie spricht Menschen zwischen 30 und 60 an, sofern sie denn lesen können.
Und die letzten vier Buchstaben sind aus einer gebrochenen Schrift gesetzt. Es gibt nämlich immer noch Menschen, die das entziffern können. Einige von ihnen lesen die FAZ, die anderen werden an den Wahl-Sonntagen mit Bussen zu den Wahl-Lokalen chauffiert. Anschließend gibt die SPD Butterkuchen für alle aus.
Schließlich habe ich die Subline »Kanzler aller Deutschen« in einer Schreibschrift gesetzt, die so aussieht, als hätte es Mutti selbst mit der Hand geschrieben. Wir wollen auch die wahlberechtigten Frauen – gleichgültig, ob sie nun in der Küche oder im Büro ihren Dienst tun – als Zielgruppe nicht vernachlässigen.
Nicht nur, dass ich mit diesem Layout alle Altersgruppen und Volksschichten anspreche, dieses Logo scheut sich nicht, auf subtile Weise die Nationalfarben zu zeigen. Ein Bekenntnis zu unserem schönen Land.
Eine weitere Bildmarke steht neben dem bekannten SPD-Logo. Ein Smiley auf blauem Grund symbolisiert, dass Herr Steinmeier und seine Parteigenossen Humor haben. Das linke Auge des Smileys – vom Standpunkt des Betrachters aus gesehen ist es das rechte – weist ganz bewußt nach oben. Es soll bedeuten, dass Herr Steinmeier auch den vielen Menschen in China aufgeschlossen gegenübersteht, auch wenn sie manchmal unsere Produkte nachbauen und für »kleines Geld« verkaufen.
Nicht verschweigen möchte ich meine Inspirationsquelle für diesen Entwurf. Während des Layoutens habe ich »Die Internationale« – diesen berühmten und fast 100 Jahre alten Schlager von Emil Luckhardt – in 34 Sprachen gehört. Die Instrumental-Stücke habe ich nicht gezählt. Besonders die norwegische Interpretation besticht durch Anmut und Frische. Ja, doch, … kann man so sagen.
Einige wenige Mitglieder der Jovoto-Community signalisierten mir durch ihre Kommentare, dass sie meinen Witz verstanden hatten. Aber es gab auch andere. So musste ich von einem strengen Mitstreiter folgenden Tadel einstecken: »Abgesehen davon, dass du in einem deiner Entwürfe eine Fraktur verwendest, für ein Zeichen von heute, sorry, aber das ist für mich total überdreht.« – Ja, das schmerzt. Wenig Trost fand ich bei Adorno, der 1925 an Kracauer schrieb: »[…] und wie alle Ironie, die ihrer gar zu sicher ist, schlägt auch diese oft genug am Wirklichen vorbei.« Nachher ist man immer schlauer.
Mit meinem mutigen Entwurf »Steinmeier für ALLE« habe ich es dann aber doch noch – dank derer, die sich ihres »eigenen Verstandes« (Kant) zu bedienen trauten – auf Platz 205 geschafft. Ich möchte mich bei allen bedanken, die für meinen Entwurf gestimmt haben. Danken möchte ich an dieser Stelle aber auch meinem Manager, meiner Familie, meinem Friseur, meiner Kassiererin aus dem Edeka-Markt …
Abzuwarten bleibt, ob die SPD und Herr Steinmeier wirklich für einen der eingereichten Logo-Entwürfe sich entscheiden werden. Spaß hat die Teilnahme an diesem abenteuerlichen Wettbewerb mir aber gleichwohl gemacht. Später habe ich noch einige meiner Studenten ermuntert, sich ebenfalls und frohen Mutes bei Jovoto anzumelden, um bei den folgenden Ausschreibungen mitzumachen. Sich als Nachwuchsgrafiker mit seinen Arbeiten – gegebenenfalls auch unter dem Schutz der Anonymität – einer kritisch sich gebärdenden Horde Mitbewerber zu stellen, kann ja durchaus hilfreich und inspirierend sein. Aber Achtung: zimperlich sind die Kollegen in ihren Kommentaren nicht.
Mehr zum Thema Crowdsourcing und Jovoto gibt es unter anderem im Medienhandbuch, im Blog von Markus Angermeier und bei den Blogpiloten.